Taktisch Wählen, pfui pfui pfui

Taktische WählerInnen sind sowas wie der gemeinsame Feind aller PolitikerInnen. Medien und Politik sind sich einig, taktische WählerInnen sind naiv, blöd und böse in einem. Warum eigentlich?

Was genau sind denn nun taktische WählerInnen? Eine Definition ist gar nicht so einfach, wie es scheint. Volker Plass definiert taktisch Wählen folgendermaßen:

Taktisches Wählen – also der Versuch, mit einer Stimme für ein »kleineres Übel« ein größeres zu verhindern

Dem kann ich nicht ganz zustimmen. Bei der Diskussion rund ums taktische Wählen wird immer davon ausgegangen, dass es eine irgendwie “aufrichtiges” Wahlmotiv im Gegensatz zum (“verlogenen”) taktischen Wahlmotiv gäbe. Nur so einfach ist es nicht. Es gibt eben viele Motive, warum man jemanden seine Stimme gibt. Das können Inhalte, Werte, Versprechen, persönliche Vorteile, Single Issues, Sympathie oder eben auch Taktik sein. Aber gehen wir einmal davon aus, dass es einen solchen Gegensatz gäbe, dann wäre meine Definition folgende:

Beim Taktischen Wählen wird ein ursprünglich weniger bevorzugter Wahlvorschlag gewählt, um so den Wert der eigenen Stimme zu erhöhen.

Ein extremes Beispiel wäre: Ich will, dass Van der Bellen Bundespräsident wird. Deswegen wähle ich im ersten Wahlgang Norbert Hofer, weil ich davon ausgehe, dass VdB ohnehin in die Stichwahl kommt und gegen Hofer bessere Chancen hätte als gegen Griss. Das Risiko dabei ist, VdB kommt nicht in die Stichwahl, weil es entweder zu viele TaktikerInnen gab, oder ich mich verschätzt habe.

Und genau das ist das Argument vieler Gegner. Nur warum, sollen Menschen nicht ihre Stimme dem Risiko aussetzen, dass diese sich ins Gegenteil verkehren könnte oder schlicht nutzlos wäre? Es ist vollkommen legitim, auch bei einer Wahl ein Risiko einzugehen, Menschen sind unterschiedlich und schließlich sollen diese Unterschiede bei einer Wahl abgebildet werden. Auch wenn zugegebenermaßen das erwähnte Beispiel ein Hochrisiko verbunden mit ultimativem Brechreiz in der Wahlzelle wäre.

Ein anderes Beispiel. PolitikerInnen verhalten sich ja durchaus ambivalent, wenn es ums taktische Wählen geht. Sie nennen es immer dann anders, wenn es ihnen nützen soll. Zum Beispiel wird bei jeder Wiener Landtagswahl der Kampf um Platz eins von der SPÖ beschworen. In der Hoffnung taktische GrünwählerInnen für sich zu gewinnen. Wenn jetzt jemand drauf rein fällt, seine Stimme für die SPÖ abgibt, die SPÖ aber nur zweite wird, dann ist das dumm gelaufen, aber ist das Motiv deswegen nicht weniger legitim oder aufrichtig.

Dumm laufen kann es schließlich auch aus anderen Motiven. Zum Beispiel beim Wahlmotiv Wahlversprechen. Gusenbauer hat eine NR-Wahl mit dem Versprechen geschlagen, dass er den Ankauf der Abfangjäger stornieren werde. Gusenbauer gewann die Wahl - oder wurde zumindest erster - die Abfangjäger wurden trotzdem angeschafft. Dumm gelaufen, für jene WählerInnen, die die SPÖ aus genau diesem Grund gewählt hatten, man könnte diese Stimmen auch als verloren bezeichnen.

JedeR, die/der seine Stimme bei einer Wahl abgibt oder auch bewusst nicht abgibt, erwartet sich irgendetwas. Diese Erwartungen können erfüllt werden oder auch nicht, nahezu jedes Motiv - ob taktisch, inhaltlich oder sonstwas - ist legitim. Allerdings sollte man sich als Gesetzgeberin sehr wohl darüber Gedanken machen, warum manche Wahlsysteme taktisches Wählen begünstigen, und ob so eine Entwicklung wünschenswert ist. Bei der Wahl zum Bundespräsidenten liegt es vor allem an der möglichen Stichwahl. Die Frage, ob da nicht ein Single Transferable Vote System, klüger wäre, müsste sich unsere Politik eigentlich stellen, ich habe da allerdings wenig Hoffnung.

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