Hört auf, Politk zu spielen

Zwei Fakten haben mich in letzter Zeit stutzig gemacht. Belgien hatte fast zwei Jahre keine Regierung und in Reykjavík war ein Mann sehr erfolgreich Brügermeister, der im Wahlkampf offen zugab, keine Ahnung zu haben.

Belgien scheint die Zeit ohne Regierung ganz gut überstanden zu haben, zumindest auch nicht schlechter als mit einer Regierung. Und in Island wird dieser Tage der Nachfolger des ahnungslosen Bürgermeisters gewählt. Was zeigt uns das? Wir werden von Personen regiert, die gerne Politiker spielen, die gerne Politiker bleiben wollen, aber keine Politiker sind. Sie sind keine Politiker, weil ihr Gestaltungswille schon lange dem Selbsterhaltungstrieb gewichen ist. Sie sind so peinlich bemüht, nur ja keine Fehler zu machen, dass sie aus lauter Angst echte Tätigkeit vermeiden und möglichst keine Aussage treffen. Entscheidungen werden so lange aufgeschoben, bis behauptet werden kann, sie seien alternativlos. Denn für eine alternativlose Entscheidung kann schließlich niemand verantwortlich gemacht werden. Nur könnte man dafür auch einen Roboter anstellen, denn wahrscheinlich würden auch die meisten PolitkerInnen den Turing-Test mit ihren vormodulierten Antworten aus Stehsätzen und Antwortvermeidungsstrategien nicht bestehen. PolitikerInnen arbeiten heutzutage einfach stur die Algorithmen ab, die ihre Kommikationsberater entwickelt haben.

Vor langer Zeit nahm ich an einem Online Chat mit dem damaligen ÖGB Chef Fritz Verzetnitsch teil. Nachdem er sich ungefähr eine halbe Stunde um jede Antwort herumgedrückt hatte, stellte ich ihm die Frage “Rapid oder Austria?”, in der Hoffnung wenigstens diesmal eine Antwort zu kriegen. Seine Antwort war “Ich bin Fan des Nationalteams.”. Diese auf die Spitze getriebene Feigheit vor klaren Aussagen ist nicht nur dumm, sondern auch ein Zeichen für mangelnden Respekt gegenüber den WählerInnen. Das Verhalten unserer PolitkerInnen sagt mehr oder weniger aus, dass sie uns nicht zutrauen, unangenehme Wahrheiten zu hören. Wenn sich jemand fürchtet zu sagen, dass er Rapidler sei, heißt das, er denkt, dass Austrianer ihn dann nicht mehr wählen würden. Es heißt auch, er hält Austrianer für Trottel, die nicht zwischen Politik und Fußball unterscheiden könnten.

Ein Beispiel der jüngeren Geschichte ist das Interview, das die SPÖ Staatsskretärin im Finanzministerium Sonja Stessl in der ZIB2 Armin Wolf gab. Zehn Minuten lang ist sie nicht willens oder nicht in der Lage zu beantworten, wie denn nun genau eine Reichensteuer funktionieren würde. Auch hier treffen wir wieder eine Mischung aus Angst und mangeldem Respekt gegenüber den WählerInnen an. Entweder dachte man sich in der SPÖ, es reiche einfach eine Reichensteuer zu fordern, ohne sich konkretes zu überlegen, das wäre dann zusätzlich dreist und dumm oder man dachte man könne die Wahrheit der Öffentlihckeit nicht zumuten.

Wenn Faymann seinen “Sowohl als auch” Sermon anstimmt, dann möchte er es vermeiden, irgendjemanden vor den Kopf zu stoßen. Deswegen möchte er sowohl sparen als auch Geld ausgeben, sowohl eine Steuern senken als auch keine neuen Schulden oder sowohl Europa stärken als auch Österreich kompromisslos vertreten. PolitikerInnen, die denken, mit solchen Aussagen käme man davon, glauben auch einen Stimmenverlust in einen Wahlsieg umdeuten zu können und sie denken, man könnte Zeitungen und Stimmen per Inserat kaufen. Gut, bei den Zeitungen stimmt das wahrscheinlich. Der Versuch sich Sympathie und Stimmen zu kaufen endet aber nicht bei den Zeitungen, denn Österreich ist nicht umsonst Förderweltmeister. So flossen 2012 80 Milliarden Euro in Förderungen. Korruption findet in Österreich also Top-Down statt. PolitikerInnen wollen sich mit Steuergeldern Sympathie erkaufen und tun dabei so als wäre es ihr eigenes Geld, dass sie gönnerhaft verteilen.

Wenn Michael Spindelegger, dem Parlament ein anderes Budget vorlegt als der EU-Kommission, dann zeugt das von mangelndem Respekt gegenüber dem Souverän. Wenn die ÖVP eine Entscheidung über die Hypo-Alpe-Adria aus Angst jahrelang verzögert und damit Milliarden Zusatzkosten verursacht, ist das nicht etwa ein Zeichen für besondere Skrupellosigkeit sondern eines der Inkompetenz und Schwäche. Es zeigt, wie gering die Parteien die Intelligenz der WählerInnen schätzen. Es ist symptomatisch für eine Politik, die nichts mehr fürchtet als den Machtverlust.

Aber welche Macht hat man, wenn man sie erst ausübt, wenn ihr Ausübung alternativlos scheint? Werner Faymann und Michael Spindelegger sind sich offenbar einig, dass es bei der nächsten Nationalratswahl mit einer Rot-Schwarzen Mehrheit vorbei ist. Nur wenn sie ohnehin davon ausgehen, dass sie nur eine Legislaturperiode im Amt sind, warum machen sie es dann nicht wie die große Koalition in der Steiermark und setzen echte Reformen um und pfeiffen dabei auf die Besitzstandwahrer in den Bundesländern und der Sozialpartnerschaft? Wahrscheinlich tun sie es deswegen nicht, weil unser politisches System PolitkerInnen mit Rückgrat zuverlässig ausfiltert. Und rutscht dann doch einmal eine durch wie zum Beispiel Sonja Ablinger, wird sie spätenstens in der folgenden Legislaturperiode entsorgt. Michael Spindelegger und Werner Faymann stehen heute an der Spitze ihrer Parteien, weil alle anderen parteiinternen Konkurrenten nicht so lange durch hielten. Sitzfleisch > Kompetenz

Das Problem des politischen Relativmus dürfte sogar ansteckend sein und zieht sich - wenn auch stark abgeschwaächt aber zumindest symptomatisch - bis in die Opposition. So kann sich die FPÖ bis heute zu keiner Eindeutigen Aussage über den Verbleib Österreichs in der EU durchringen, die Bundesgrünen sind in Sachen Verkehrspolitik sehr sehr still geworden und die NEOS gestanden zwar erfreulicherweise ein durchwachsenes Wahlergebnis bei den EU-Wahlen ein, lavieren aber bei einigen Themen (TTIP, Gesamtschule, Homoehe…) verdächtig hart an der Feigheitsgrenze herum.

Wie kann sich das ändern? Für die Oppositionparteien ist die Hoffnung noch nicht gestorben. Ein Schwenk zu eindeutigen Aussagen und auch mal zuzugeben etwas nicht zu wissen verbunden mit einer positiven Fehlerkultur, könnte den Oppositionsparteien einen ordentlichen Boost geben. Für SPÖ und ÖVP ist alle Hoffnung vergebens, nur noch Auflösen und Neu Gründen würde helfen. Wahrscheinlich ist das alles eher nicht, viel mehr werden unsere PolitikerInnen auch in den nächsten Jahrzehnten einfach nichts entscheiden und Scheingefechte führen.

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