Christian Rainer, medialer Aristokrat mit Nazikeule

Diese Woche widmet sich Christian Rainer, Herausgeber des Wochenmagazins profil, dem Shitstorm und findet diesen überraschenderweise gar nicht toll. Aber lassen wir den zornigen, alten Medienmann zuerst seine Argumente darlegen.

Auf der Suche nach einem Anlass, um eine Lehre aus dem Fall Elke Lichtenegger zu ziehen, der Ö3-Moderatorin, die wegen einer Nörgelei am heimischen Musikschaffen hingerichtet wurde…

hingerichtet? WTF?

Wer „News“ zu „Shitstorm“ googelt, bekommt 10.900 Treffer, zu einem guten Teil individuelle Fälle aus der nahen Vergangenheit. Shitstorm bläst immer, stinkt überall.

Google Shitstorm

Ich weiß nicht, wo Herr Rainer googelt, aber bei mir sind es derzeit 1.450.000 Treffer. 1,5 Millionen Hits weltweit ist allerdings lächerlich wenig, klingt aber nach total viel, wenn man die Profil Auflage im Kopf hat. UPDATE: Rainer dürfte Google News verwendet haben, wie Roland Giersig richtig anmerkt.

Besonders lustig wird’s beim nächsten Zitat. Rainer nimmt hier die Argumente der “Apologeten” vorweg. Freilich ohne einen namentlich zu nennen oder gar tatsächlich zu zitieren. Das dürfte wahrscheinlich daran liegen, dass diese feigen Apologeten nie im Klarnamen posten, aber dazu später mehr.

Eben diese Freiheit von Beschränkungen berge ja den Charme und die Effektivität des neuen Mediums, so die Apologeten. Hier seien die Inhalte keiner Zensur unterworfen, dort nämlich, wo ansonsten hierarchische Strukturen Öffentlichkeit verhindern würden. Meinungsmanipulation, wie sie auch in offenen Gesellschaften der Normalfall sei, wäre im Netz unmöglich. Und schließlich: Der Zugang zu dieser Öffentlichkeit stehe in sozialen Medien allen frei, nicht nur finanzstarken und systematisch vernetzten Eliten.

Einmal ganz abgesehen davon dass es sowas wie Net Literacy gibt und der Zugang eben nicht allen frei steht und durchaus elitär sein kann, sollte ein Repräsentant des vorherschenden Raiffeisen-Krone Medienkonklomerats gerade auf dieses Argument tunlichst verzichten. Faktum ist, Printmedien fördern nur ganz selten den Diskurs, sondern verstärken Meinungen und Trends innerhalb der eigenen Peer-Group.

Ich halte dagegen. Ich bezweifle, dass wir hier überhaupt von „Meinungen“ in „Medien“ sprechen.

Hier ist er wieder der elitäre Ansatz der Vertreter des Systems Herrschaftsmeinung, denn was eine Meinung ist und was ein Medium ist, würde Herr Rainer (und auch seine Freunde beim VÖZ) gerne selbst bestimmen. Was aber macht Wolf Martins Gedichte wertvoller als die eines gelangweilten Hausmanns, was macht Michael Jeanees Briefe meinunungsvoller als die Facebookpostings eines x-beliebigen Österreichers und was macht aus dem Profil ein richtigeres Medium als aus der Fanpage vom Schweinebraten? An den Qualitätsunterschieden kann es kaum liegen, es muss also so etwas wie eine mediale Erhabenheit des gedruckten Wortes sein, die letztlich eine mediale Aristokratie etabliert.

Bei einem klassischen journalistischen Medium hätten die Autoren zumindest ein Minimum an Faktencheck und Einordnung vorgenommen. Sie hätten im Idealfall die Betroffenen zu Wort kommen lassen.

Ein kurzer Faktencheck beim Betroffenen Hans Niessl hat ergeben, dass Profil demnach kein klassisches journalistisches Medium sei.

Nach dieser doch recht verwegenen Behauptung schießt Rainer sogar noch eine Forderung nach:

Was tun gegen jenes Chaos im rechtsfreien Raum, das sich Freiheit für alle nennt, in Wahrheit aber die Freiheit aller anderen bedroht? Zentrale Anforderung: Klarnamen für alle. Die Anonymität im Netz, die Möglichkeit, in sozialen Medien mit Scheinidentitäten zu leben, ist eine Anomalie in unserer Rechtsordnung. Mehr noch: Die Anonymität widerspricht unserer Rechtsordnung, auch unseren gesellschaftlichen Usancen. … Die anonyme und durchaus gewünschte anonyme Vernaderung im Dritten Reich ist noch in Erinnerung. Also weg mit der Anonymität, her mit überprüfbaren Identitäten im Netz!

Das ist auf so vielen Ebenen falsch, wo anfangen? Es ist schlicht technisch unmöglich, rechtlich sehr schwierig und würde sehr wohl das Recht auf freie Meinungsäußerung bedrohen. Genauso gut könnte man fordern, dass in Zukunft Quellen immer mit Klarnamen genannt werden müssen, um anonymes Vernadern zu verhindern. Es ist das Argument des faschistoiden Überwachungsstaats, das Rainer hier führt, alles nur, um dieses leidige Neuland namens Internet einzuschränken. Das Internet schließlich mit dem Dritten Reich zu vergleichen, ist an Zynismus kaum noch zu überbieten. Jeder deportierte Jude hätte gerne vor seiner Verhaftung einen Tweet abgeschickt und damit vielleicht etwas mehr verändert als die damaligen Printmedien.

Aber von dummen Nazivergleichen mal abgesehen, handelt es sich bei dem Artikel um das klassische Werk eines zornigen, alten Medienmannes. Ähnliches haben wir schon bei Frank Schirrmacher oder Armin Thurnher erlebt. Die Shitstorm Diskussion läuft dabei immer nach dem selben Muster ab:

  • Ein vermeindlicher Promi sagt oder tut irgendwas (sehr) Dummes
  • Internet Menschen sorgen für Verbreitung dieser Dummheit
  • Andere Internet Menschen empören sich
  • Andere empören sich noch mehr
  • Der Promi wundert sich, dass eine dumme Aktion teilweise noch dümmere Reaktionen hervorrufen kann
  • Diverse Leitartikler sehen das Abendland von anonymen Postern bedroht und fordern eine Weltinformationsordnung
  • Godwin’s Law schlägt zu

Bis zum nächsten Shitstorm.

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