100.000 Wähler? Wurscht!

... erinnert sich noch jemand an 1999, als die SPÖ Fraktion im EU-Parlament einfach Hannes Swoboda zum Delegationsleiter machte, obwohl damals ein gewisser Hans Peter Martin Spitzenkandidat war? Swoboda hatte nicht etwa mehr Vorzugsstimmen als Martin erhalten, er hatte einfach nur mehr Freunde - was gegen Martin bekanntlich nicht schwer ist -  in seiner Fraktion. Außerdem war auch damals schon der Stern Viktor Klimas im sinken und man wollte dem wohl auch eins auswischen. Heute wiederholt sich die Geschichte nur unter umgekehrten Vorzeichen in der ÖVP. Wir alle beschweren uns zu recht über die lahme Pseudobasisdemokratie bei den Wiener Grünen, aber verglichen mit der ÖVP ist das gar nichts. Othmar Karas warb also für Vorzugsstimmen mit dem ausdrücklichen Ziel, Delegationsleiter zu werden. 100.000 haben ihm geglaubt und zu diesen Leichtgläubigen gehörte wahrscheinlich auch er selbst. Und genau diese 100.000 Wähler werden jetzt verarscht. Strasser lässt sich für einen Wahlsieg feiern, der trotz und nicht wegen seine Person zustande kam. Ein Sieg mit jenen 100.000 Stimmen, die klar gegen Strasser standen. Formal sind Strasser und Pröll natürlich im Recht, wenn sie drauf bestehen, dass die Vorzugsstimmen keinen Zusammenhang  mit der Delegationsleitung haben, moralisch sicher nicht. Die ÖVP hat schon mit dem Deal rund um der EU-Komissar bewiesen, dass für sie das Votum des Wählers keine Rolle spielt. Sie setzt damit den 2006 begonnenen Kurs von irrenden Wähler fort. Allerdings auch OthmarKaras muss sich die Frage gefallen lassen, ob er nicht ein allzu naiver Helfer war. Für mich ist das ein weiterer bezeichnender Schritt der ÖVP in eine autoritäre Richtung. Widerspruch, Nachdenken und Diskurs scheinen seit Wolfgang Schüssels Obmannschaft die drei großen Tabus in der ÖVP zu sein, statt dessen gilt "Goschn haltn, Hände falten" nicht nur für die Funktionäre, sondern diesmal auch für den Wähler.
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