Powered by emotion - Soziale Pornografie und das echte Leben im Fernsehen

Martin ThürEin Gastkommentar von Martin Thür Reporter bei ATV News Sozialpornographie. Unterschichtenfernsehen. Psychoterror. Gerald Bäck packt in seinen Kommentar gleich mal alle Stereotype des modernen Fernsehens. In Bausch und Bogen wird das Fernsehen als solches verurteilt. Wir sind was Besseres und wollen nicht länger diesen Dreck sehen. Das seh ich anders. „It’s not Rocket Science“, sagt der alte James Carville gerne über Wahlkämpfe, Fernsehen ist um nichts besser. Wer Fakten will geht längst ins Netz, wer Analysen und Kommentare will hat die Zeitung, aber nichts unterhält und emotionalisiert wie Fernsehen. Man nehme nur die Diskussion der EU Spitzenkandidaten, die mich dazu bringt alle meine Sessel auf den Fernseher zu schmeißen. Was all das mit „Sozialpornos“ zu tun hat? Nur Geduld, ich komm schon drauf. Also Fakten sind wichtig im Fernsehen, aber sie sind immer nur der Auslöser für Emotion. Am Ende geht es im Fernsehen immer nur darum. Eine Umfrage die einen Parteichef in Bedrängnis bringt, das Voting Ergebnis bei Deutschland sucht den Superstar, oder die ersten Bilder vom Air France Wrack im Atlantik, Fernsehen transportiert nur selten Fakten aber immer Gefühle. Und genau hier setzt moderne TV Unterhaltung an. Es geht darum Gefühlswelten zu erschaffen, die Leute reinzuziehen in eine Welt in der sie mitfiebern können. Das betrifft im übrigen großartige, hochwertigste Serien wie die Sopranos, West Wing oder Breaking Bad genauso wie Sportsendungen, Castingshows oder Reality Formate. Eine Sendung die uns nicht auch im Bauch sondern nur im Hirn packt, kommt nicht an. Dafür ist Fernsehen nicht gemacht, dazu ist das Bild zu beeindruckend, da kommt der Text nie mit. Um Gefühle zu erzeugen gibt es nun mehrere Möglichkeiten: Identifikation etwa, Überhöhung oder Zuspitzung. Das einfachste aber: Man zeigt die Realität. Doku Soaps sind aus den Dokus der 90er entstanden. Stern TV, Spiegel TV und all die anderen Verlegerfernsehsendungen die allesamt mit einer Lizenz von Alexander Kluge, dem Paradeintellektuellen, operieren, zeigten die Polizei im Einsatz, die Hotelcrew vor der Eröffnung und ähnlich belangloses aber spannendes und erfolgreiches Fernsehen. Irgendwann wurden daraus eigene Formate. Wieder versuchte man durch Zuspitzung („Tausche Familie“), Überhöhung (Die dicken Österreicher bei „Du bist was du isst“) oder ganz einfach Identifikation (Ein Bauer auf der Suche nach einer Frau die ihn mag bei „Bauer sucht Frau“) Emotionen zu wecken, und so einen Mehrwert zu schaffen. Marshal McLuhan, Gott-sei-bei-uns der Publizistik unterscheidet zwischen kalten und warmen Medien, also zwischen solchen die „high involvement“ fordern - die aktive Beteiligung am Medium- und solche, klassischen Push-Medien wie eben TV, die das nicht erfordern. Das Problem: Angesichts der Milliarden langweiligen, trashigen, schlecht gemachten Internetseiten wird niemand das Medium Internet in Frage stellen, TV jedoch wird sofort als Medium an sich kritisiert, wenn sich ein paar Minuten nicht dem eigenen Geschmack anschließen. Kollegin Judith Denkmayr hat mir noch einen anderen Aspekt näher gebracht. Den des britischen Medientheoretikers John Fiske. Er spricht etwa von einer dem Zuschauer aufgedrängten Dualisierung zwischen “gutem, genauen, verantwortungsbewusstem Fernsehen, das unpopulär sein mag; und schlechtem, kompromisslerischem, verantwortungslosen Fernsehen [...], das die Leute tatsächlich sehen wollen.“ Grund dafür sei die althergebrachte Alternative zwischen objektiver, wahrer, lehrreicher und wichtiger Information und subjektiver, fiktionaler, eskapistischer, trivialer und schädlicher Unterhaltung. Fiske plädiert dafür, weniger die Informationsleistung des Journalismus zu bewerten, als vielmehr die „populäre Attraktivität“. Eines aber darf man keinesfalls vermischen, und hier komm ich nun endlich zum Punkt: Die Menschen die ins Fernsehen kommen werden in aller Regel nicht ausgebeutet, nicht gezwungen. Sehr oft haben sie echte Probleme unter denen sie leiden (Beratershows von Ernährung übers Wohnen bis zu Finanzen) und nicht selten, und darüber wird praktisch nie gesprochen, helfen diese TV Shows tatsächlich. Schöner Leben Doku Soaps zum Beispiel helfen aus Prinzip nur sozial schwachen Menschen die auf Kosten der TV Sender ihr Haus renoviert bekommen. Ja, Reality Fernsehen ist manchmal grauslich, manchmal bizarr. Aber das ist keine Sozialpornographie, das ist das Leben. Fernsehen darf nicht in einer Kunstwelt exisitieren, gutes Fernsehen ist dort wo die Menschen sind. Wenn der Mafiaboss Tony Soprano ein Burn-Out hat, wenn hunderte Menschen um ihre Angehörigen trauern, wenn Politiker Argumente austauschen, wenn Sportler alles geben und auch wenn echte Menschen echte Probleme haben da ist Fernsehen noch immer unschlagbar.
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