Sozialpornographen

Heute morgen habe ich Elektropost von Sasha Walleczek (@SashaWalleczek) bekommen, worin sie mich sinngemäß bat, das Wort Sozialporno bei Ihrer Ressortzuordnung im Verzeichnis twitternder JournalistInnen zu streichen, da sie diese Zuordnung naturgemäß nicht so sieht. Ich nehme diese Mail zum Anlass, mich  intensiver mit dem Thema der Reality-Formate und warum ich diese für Sozialpornographie halte, zu beschäftigen. Mir geht es dabei weniger um die Sendungen von Frau Walleczek konkret, sondern um ein generelle Debatte über den Entblößungsfaktor von Reality-Formaten, die ich hiermit gerne anstoßen möchte.

Vorher noch ein paar Worte zur Liste der twitternden JournalistInnen. Die führe ich privat, ohne professionellen Anspruch und ganz und gar unkommerziell. Genau aus diesem Grund nehme ich mir die Freiheit, die Ressorts der twitternden JournalistInnen etwas flapsiger und manchmal hoffentlich auch witziger zu beschreiben. Das betraf in der Vergangenheit auch schon Hans Dichand oder Doris Knecht. Ich werde aber dem Wunsch von Frau Walleczeck entsprechen und das besagte Wort streichen. Schließlich dient die Liste zur Information über twitternde JournalistInnen, Diskussionen darüber können ja trotzdem hier stattfinden. Worum geht es bei Reality Formaten? Auf keinem Fall darum, wer Germanys Next Topmodell wird, welches Dorf demnächst nicht mehr raucht, ob der Bauer eine Frau von ATV zugestellt bekommt oder ob übergewichtige Menschen abnehmen, sondern immer darum, Quote auf Kosten dieser Menschen zu machen. Das ist legitim, denn schließlich sollten diese Menschen mittlerweile wissen, worauf sie sich einlassen. Gut finden muss man es deswegen nicht. Mir persönlich ist schon das Zuschauen peinlich, das Modewort dazu ist Fremdschämen und ich bin mir durchaus bewusst, dass man sich - und ich mich durchaus auch - gern fremdschämen kann. Und trotzdem beschleicht mich dabei immer wieder das Gefühl, dass diese Menschen vorgeführt werden, dass ihnen nicht bewusst ist, wie sie im Fernsehen wirken. Denn niemand wird im Ernst annehmen, dass Großaufnahmen von Schweißperlen, Speckfalten und kauenden Mündern vorteilhaft für die solcherart Dargestellten sind. Unterschichtfernsehen nannte Titanic und zehn Jahre später Harald Schmidt diese Sendungen. Ein böses, verächtliches Wort von dem sich mittlerweile auch Harald Schmidt distanziert hat, denn es diffamiert wiederum nur die Zuseher und die Vorgeführten, aber nicht die Verantwortlichen. Genau deswegen bevorzuge ich das Wort Sozialpornographie. Denn es sagt genau das aus, worum es geht. Menschen verkaufen ihre Würde vor der oder für die Kamera. Das Geschäft damit machen andere: Die Sozialpornoproduzenten Die Sozialpornoproduzenten befriedigen die voyeuristischen Gelüste ihres Publikums, das sich dadurch selbst in einem anderen, besseren Maßstab bewerten kann. Interessanterweise ein Gegensatz zur klassischen Pornoindustrie, die beim Betrachter nicht selten ein Gefühl der eigenen Minderwertigkeit hinterlässt. Damit befördert das Fernsehen eine Fingerzeig-Kultur und macht das Kuriositätenkabinett des 19. Jahrhunderts auf widerliche Weise salonfähig. Ein Teil dieser Sozialpornoindustrie sind Sendungen wie Bauer sucht Frau, Germanys Next Topmodell, Teenager im Camp, Österreich isst anders, Die Modell-WG etc, die nur vordergründig vorgeben, Menschen helfen zu wollen, aber schließlich wieder nur unsere voyeuristische Ader befriedigen sollen. Quote auf Kosten anderer zu machen, war natürlich immer schon Konzept des Fernsehens. Selbst Joki Kirschner spielte mit der Gier seiner Gäste, wenn er nach dem präferierten Laderl in der Sendung Tritsch-Tratsch fragte, denn immerhin war irgendwo ein Brilliantring versteckt. Auch die versteckte Kamera war bereits ein Vorläufer der Sozialpornographie, dort ging es schon viel stärker darum, andere zu verarschen. Trotzdem konnte man sicher sein, dass die Scherze meistens nicht zu weit gingen.  Einen vorläufigen Höhepunkt fand die öffentliche Demütigung bei Stefan Raab, der mit seiner Maschendrahtzaunvertonung eine zugegebenermaßen unsympathische Frau für ganz Deutschland zum Affen machte und schließlich im Psychoterror bei einer Schülerin Namens Lisa Loch gipfelte. Wobei man dem Brachialhumor von Stefan Raab wenigstens zu gute halten muss, dass er seine Opfer ganz offen und ohne falsches Mitgefühl verhöhnte. Sozialpornoformate tun das nicht. Dort wird immer vorgegeben, dass man den Vorgeführten helfen wolle. Es regiert das falsche Mitgefühl, die Krokodilstränen, es werden Umarmungsfeuerwerke abgeschossen und am Schluss bedanken sich die Opfer auch noch ganz artig für ihre 15 Minuten Ruhm.
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