Onlinereputationsfetischisten

Achten Sie auf Ihre Privatspähre?!, 5 Tipps für eine bessere Online ReputationOnline-Reputation als Erfolgsfaktor, die Liste ließe sich noch unendlich lang fortsetzen. Rund um das Thema Online Reputation hat sich eine kleine Szene aufgebaut, bestehend aus Sachbuchautoren, Bloggern, selbsternannten Social Media Experten etc, etc. Sie alle haben eines gemeinsam: Sie warnen vor den Gefahren des Web2.0 und predigen die Etablierung einer Ego-Marke im Netz. Karrierefalle Internet nannte Klaus Eck, der Hohe Priester der Onlinereputationsfetischisten, sein letztes Buch und bedient schon mit dem Titel die gängigen Klischees von der gefährlichen Parallelwelt namens Internet. Den Proponenten dieses Systems ist eigentlich kein Vorwurf zu machen, denn schließlich finden sie in uns sehr willige Abnehmer für ihre Botschaften von den Untiefen und Fallen des Web2.0. Und wir merken es nicht mal, wenn die Onlinereputationsfetischisten gleichzeitig Personalchefs beraten, um die dunklen Seiten aus den Online-Profilen ihrer Bewerber herauszukitzeln und auf der anderen Seite kluge Blogpostings mit Tipps für Bewerber veröffentlichen. Aber mal ehrlich, wer möchte denn überhaupt in einem Unternehmen arbeiten, wo schlechte Partyfotos oder eine 10 Jahre alte Meinungsäußerung über die Aufnahme entscheiden? Die gängige Lehre der Onlinereputationsfetischisten besagt, dass alles, was irgendwie Widerspruch erregen könnte, vermieden werden soll. Also aufpassen auf unvorteilhafte Partyfotos, aufpassen bei politischen Meinungsäußerungen, aufpassen beim Senden von Tweets, aufpassen, aufpassen, aufpassen. So einengend kann die schöne, bunte Web2.0 Welt sein. Dass die Beherzigung all dieser Ratschläge zu einer einzigartigen Langeweile, zu Selbstzensur, quasi zu einem selbstauferlegten neuen Biedermeier führt, wird dabei gerne vergessen. Warum sind wir so sensibel, wenn es um die Vorratsdatenspeicherung geht und schreien sofort Zensur, wenn ein Minister - zugegebenermaßen nutzlose - DNS-Sperren gegen Kinderpornos einführen will und merken aber nicht, dass das ständige Mantra von der Online-Reputation  in letzter Konsequenz zu einer zensurierten, ja totalitären Gesellschaft führt. Wir beschränken damit unsere eigene Meinungsfreiheit, getrieben von der Angst, irgendwas könnte uns Jahre später auf den Kopf fallen. Die Web2.0 Welt dreht sich vor allem um eines, um sich selbst. Nicht umsonst sind SEO-Blogs und OnlineMarketing-Blogs in den Rankings immer vorne dabei. Da ist es nur logisch, dass Tipps zur Onlinereputation ebenfalls ganze vorne in der Lesergunst sind. Der schon erwähnte Klaus Eck gehört mit den Tweets zu den Top Ten der deutschen Twittercharts, übrigens noch so eine selbstreferentielle Geschichte, in der das Web2.0 sich selbst feiert. Mir wird beim Lesen dieser Tipps bestehen aus Top 10 Listen, Checklisten und Listen und Listen über Listen, zunehmend langweiliger. Nicht nur weil sie sich immer wieder wiederholen, sondern weil sie das Web2.0 zu einer spaßbefreiten Zone machen wollen. Gerade das Web2.0 lebt von der Kontroverse. Und eine gute Kontroverse verlangt eine die Möglichkeit zur freien Meinungsäußerung und wenn wir uns selbst dieser Möglichkeit entledigen, gibt es am Ende nur noch den Einheitsbrei. Zusätzlich wird durch die Onlinereputationsfetischisten der Begriff der freien Meinungsäußerung auf eine sehr politische Ebene beschränkt, aber dazu gehören genauso Partyfotos wie auch das Verweigern des Binnen-I oder böse Blogpostings über das "Scheiß-Handy". Letztlich basiert aber das ganze Trara rund um die Ego-Marke auf einem Irrtum. Nämlich dem, dass man mit einer möglichst gemainstreamten Persönlichkeit seine Ziele leichter erreich kann. Das Ende jeder Differenzierung soll also der Anfang einer Karriere sein? Zur Rettung der Onlinereputationsfetischisten muss man aber festhalten, dass sie diesen Trend nicht erfunden haben, er spiegelt eher eine sehr zeitgeistige Denkrichtung wider. Seit gefühlten Jahrzehnten quälen uns Spindoktoren mit möglichst farblosen Politikern, die möglichst nirgends anecken und nur keine noch so kleine Wählergruppe beleidigen wollen. Alle Ratschläge beherzigt endet das in Beliebigkeit und Austauschbarkeit, beides nicht unbedingt die besten Ausgangspunkte für erfolgreiches Ego-Marketing. Um mich nicht falsch zu verstehen, es ist durchaus sinnvoll, sich darüber bewusst zu werden, wer denn zum Beispiel den Tweet über ein Meeting aller so lesen könnte. Aber dazu reicht normalerweise der eigene Hausverstand und braucht es keine Onlinereputationsfetischisten.
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