Michael Fleischhacker beim Observer Cercle

Vor langer Zeit war ich ein eingefleischter Standard-Leser.  Unter der Woche war der Standard neben dem Profil mein unumstrittenes Leitmedium. Das Profil habe ich schon vor gefühlten Jahrzehnten durch den Spiegel ersetzt, weil mir die Geschichten darin schlicht und einfach zu beliebig und zu harmlos waren. Seit dem nackten Vranitzky am Cover war da nichts mehr,  oder? Der Standard hielt sich länger, vor allem wegen seiner letzten Seite. Doch dann kam Michael Fleischhacker und bemerkte, dass sich bei den Qualitätsmedien etwas ändern müsse und schuf eine "Neue" Presse, die auch meinem durchs Internet geänderten Lesegewohnheiten Rechnung trug. Ich gewöhnte mich nicht sofort daran, aber irgendwann hatte Die Presse schleichend den Standard abgelöst, den lese ich mittlerweile nur noch am Wochenende, Die Presse täglich. Warum der Standard trotz deutlich langweiligerer Blattlinie und mittlerweile konservativeren Habitus in der Medienanalyse relativ weit vor der Presse liegt, bleibt mir persönlich ein Rätsel. Aber nicht nur mir, sondern auch dem Chefredakteur der Presse, der am Donnerstag vergangener Woche beim Observer Cercle zu Gast war. Im Gespräch mit Hausherrn Florian Laszlo brachte er seine diesbezügliche Ratlosigkeit mehrmals zum Ausdruck. Interessant dabei ist, dass Die Presse eine höhere verkaufte Auflage als der Standard hat und trotzdem in der Medienanalyse hinten liegt. Laut Fleischhacker könnte dies auch daran liegen, dass der Standard einen ähnlichen Effekt bei der Medienanalyse hat wie die Grünen bei Meinungsumfragen haben. Das heißt, es ist eben schicker und sozial angesehener den Standard zu lesen als Die Presse. Scherzhaft merkte er noch an, dass es bei den Presselesern vielleicht auch einen gewissen "Alzheimereffekt" gäbe. Fleischhacker, der früher einmal beim Standard gearbeitet hatte, beschrieb übrigens die dortige Unternehmenskultur als eine Mischung zwischen Gottkönigtum und Basisdemokratie!-) Gegenüber seinem rosa Konkurrenten zeigte er sich generell relativ angriffslustig, so bezeichnete er die Titelseite des Standard als 1:1 Kopie des Teletext von 15 Uhr des Vortages. Und damit trifft er wohl genau die Problematik, die unsere Qualitätsmedien derzeit erfasst hat. Gerade Leser von  Qualitätszeitungen informieren sich über die aktuellsten Nachrichten zeitnah im Web, da ist es einfach nicht mehr nötig, am nächsten Tag noch einmal die News von Vortag nachzulesen. Einen großen Teil des Gesprächs und der anschließenden Diskussion mit den Gästen nahm natürlich das Internet und Web2.0 ein. Fleischhacker selbst twittert übrigens derzeit (noch) nicht, weil er sich mit dem Medium noch nicht ausreichend beschäftigen konnte. Googelt man Michael Fleischhacker, dann kommt bereits an vierter Stelle ein Blogbeitrag von den Kollegen vom Zwischenruf mit dem wunderschönen Titel: "Die wirre Welt des Michael Fleischhacker". Während Online-Reputationsfetischisten wie Klaus Eck hier sofort Feuer schreien würden, sieht das Fleischhacker zum Glück sehr entspannt. Auf meine Frage, wie er mit den doch recht häufigen und oft sehr kritischen Kommentaren in seinem Blog umgehe, antwortete Fleischhacker, dass alle Kommentare lese und auch versucht auf diese zu replizieren, Zensur von Kommentaren sei für sein Blog abgesehen von medienrechtlichen Erfordernissen kein Thema. Als wesentlichen Schock des Internet für Journalisten bezeichnete Fleischhacker übrigens, dass da Leute zurück reden können und auch zurück reden. Ein Problem an dem auch sein Kollege Armin Turnher leidet, der zum Jahreswechsel  gleich mehrmals seinen journalistischen Köcher gegen das, was er unter Internet subsumiert, spannte. Schön, dass andere Chefredakteure das anders sehen!-)  Fleischhacker bezeichnete es übrigens als ein Faktum, dass ein Medium im Web gratis sein müsse und alle anderen (Bezahl-)Modelle wie zum Beispiel die verschiedenen Versuche der New York Times als gescheitert. Ebenfalls Thema war der nicht unumstrittene Deal zwischen den europäischen Nachrichtenagenturen und Google, den Fleischhacker als problematisch bezeichnete, da damit mehr Traffic bei Google bleiben könnte und diepresse.com derzeit aber 25% des eigenen Traffic via Google bekommt. Als mildernd sieht er die zeitliche Befristung des Abkommens und die relativ eingeschränkte Medienauswahl. Konkrete Anwendungen des Abkommens zwischen Google und den Agenturen wie der APA gibt er derzeit noch nicht, wir werden also abwarten müssen, ob Fleischhacker recht behält. Für ein Leben nach der Presse kann sich Fleischhacker übrigens vorstellen, ein Magazin wie Cicero in Österreich zu gründen. Es bleibt also spannend!-)
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